Was die Meister der antiken Rhetorik uns über erfolgreiche Krisenkommunikation verraten

Ob Ölpest, Abgasbetrug, Doktortitel-Plagiate oder einfach nur schlechte Geschäftsergebnisse: Prominente, Unternehmen und Institutionen sind vor Kommunikationskrisen niemals sicher. Wenn sich das Gewitter negativer Berichterstattung zusammenbraut, schlägt die Stunde der Kommunikatoren. Der richtige „Spin“ entscheidet im Ernstfall darüber, ob sich eine handfeste Krise überwinden lässt oder nicht.

Bereits im alten Rom war man sich der Wichtigkeit einer standfesten Verteidigung bewusst. Denn nicht nur auf dem Forum, sondern auch im Gerichtsaal entschied die Öffentlichkeit über Aufstieg und Fall der Politiker und anderer wichtiger Personen. Unvergessen (zumindest für Lateinschüler!) sind beispielsweise die Prozesse, welche Altmeister Marcus Tullius Cicero gegen den Verschwörer  Catilina führte. Um für gerichtliche Vorwürfe gewappnet zu sein, entwickelten die Rhetoriklehrer der Antike deshalb die sogenannte „Statuslehre“. Da sich diese auf Verteidigungsfälle jeglicher Art anwenden lässt, ist sie auch heute noch von Vorteil.

Vier Ringe der Verteidigung

Die Statuslehre unterscheidet vier grundsätzliche Positionen, welche sich bei der Entgegnung eines Vorwurfs einnehmen lassen.

  1. Status coniecturalis: Im Status der Konjektur („Mutmaßung“) streitet der Verteidiger die Tat prinzipiell ab. Hat sich die Tat wirklich so abgespielt? War es wirklich der Angeklagte, der die Tat begangen hat? Dieser Status eignet sich dann, wenn noch nicht zweifelsfrei geklärt, ob ein Vorwurf aus den Fakten heraus zu belegen ist.
  2. Status definitivus: Diese Position gibt dem Vorwurf zwar grundsätzlich statt, definiert jedoch einen weniger gravierenden Tatbestand. Im Status der Definition ist der Reputationsverlust also nicht mehr zu verhindern. Anwälte und Spin Doctors versuchen lediglich, ihn zu minimieren. Beispielsweise würde er argumentieren, dass es sich bei einer falschen Abrechnung statt um vorsätzlichen Betrug nur um Fahrlässigkeit gehandelt habe.
  3. Status qualitatis: Im Status der Qualität kann der Tatbestand nicht mehr geleugnet oder umdefiniert werden. Eine Rechtfertigung auf ethisch-moralischer Ebene soll aber dazu führen, dass eine mildere Strafe herausspringt. Dabei kann es sich um Befehlszwang oder sonstwie schwierige Umstände handeln: Da sich der Angeklagte so verhalten musste, wiegt seine Schuld weniger schwer.
  4. Status translationis: Sollte auch hierfür keine Grundlage bestehen, bietet sich der Status der Translation an. Ursprünglich im Gerichtswesen fußend, bezeichnet dieser die Anfechtung der Zuständigkeit des Gerichtswesens. Übertragen auf das Feld der PR würde dies bedeuten, die Rechtmäßigkeit des Angriffs in Frage zu stellen; beispielsweise weil sein Urheber selbst wenig integer ist.

Vogel-Strauß- oder Salami-Taktik?

Wann welcher Status in Frage kommt, hängt vom gegenwärtigen Stand der Sachlage ab. Grundsätzlich beginnen Kommunikatoren im stärksten Status, nämlich dem der Konjektur. Bei weiteren, ungünstigen Entwicklungen kommen die schwächeren in der obigen Reihenfolge zum Einsatz.  Aber Vorsicht! Wer einmal den Status der Konjektur eingenommen hat und widerlegt wird, hat mit einem schwindelerregenden Glaubwürdigkeitsverlust zu rechnen. Deshalb ist die wichtigste Aufgabe eines Krisenberaters: Die Sachlage ganz genau zu prüfen, bevor er den „Spin“ der Verteidigung herstellt.

Das „scheibchenweise“ Rutschen von einer Position in die nächste (auch als „Salami-Taktik“ bekannt) ist hingegen wenig hilfreich. Es bewirkt, dass die Presse immer neue Nachrichten erhält; somit bleibt der Skandal am Kochen. Noch verheerender ist es, zu schweigen („Vogel-Strauß-Taktik“). Wer dies tut, liefert sich dem öffentlichen Urteil völlig aus. Es gilt: In jeder – auch noch so schlechten – Situation ist zumindest ein Status zu finden, der sich halbwegs überzeugend darstellen lässt.

Krisenkommunikation in digitaler Hochgeschwindigkeit

In der Rhetorik hat sich seit dem alten Rom im Prinzip nicht viel verändert. Für moderne Kommunikatoren kommt jedoch als besondere Herausforderung hinzu,  dass das Internet die Nachrichtenlandschaft globalisiert und auf ein Höchstmaß beschleunigt hat. Schädliche Informationen, Meinungen und Narrative können im Millisekundentakt auftauchen. Auch wenn intelligente Analyse Tools wie beispielsweise Cogia Abhilfe schaffen: Um durchwachte Nächte und einen erhöhten Pulsschlag kommen die Ciceros der heutigen Zeit wohl nicht herum.

von Felix Schönherr, Sugar & Spice Communications